Politik

Merz-Effekt bleibt aus: Doch kein Frühling für die SPD

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Friedrich Merz unterlag im Rennen um den CDU-Vorsitz am Freitag Annegret Kramp-Karrenbauer.

Von Judith Görs


Für viele Genossen schien es der einfachste Weg aus der Sinnkrise – die Rettung von außen. Doch Friedrich Merz als neues Feindbild, durch das die SPD ihr Profil und ihre Geschlossenheit wiederfindet, ist keine Option mehr. Auch der Altkanzler ist enttäuscht.

Mit dem Auftauchen von Friedrich Merz keimte Hoffnung in der SPD. Endlich war da wieder einer, auf den man schimpfen konnte. Einer, der polarisierte – und an dem nicht alles abperlte. Einer aus der eiskalten, arbeiterfeindlichen Finanzindustrie. Als Sozialdemokrat hätte man sich an einem solchen CDU-Chef wunderbar reiben können. Keiner sagt das so deutlich wie Altkanzler Gerhard Schröder am Rande einer Veranstaltung in Stuttgart. "Merz wäre die Chance gewesen, dass sich die beiden Volksparteien wieder stärker voneinander abheben und so die Ränder links und rechts wieder schwächer werden", erklärte er dem "Handelsblatt". "Das wäre nicht nur für CDU und SPD wichtig, sondern für ganz Deutschland."

Doch die Delegierten beim CDU-Parteitag in Hamburg haben anders entschieden. Sie wollten nicht in die alten Schützengräben springen. Warum auch? Bisher sind die Unionsparteien – wenn auch nicht ohne Blessuren – vergleichsweise gut gefahren mit ihrer Strategie, sich mitten aufs Schlachtfeld zu setzen und dabei zuzusehen, wie sich der Gegner selbst zerlegt. Sie entschieden sich für ein "Weiter so". Mit der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer – der Kandidatin der Mitte – zerbröselt für die SPD nun jede Aussicht auf ein bisschen mehr Klassenkampf. 

Das ist ein echtes Problem. Zumindest sehen es Teile der Partei so. AKK mag zwar wertkonservativer sein als ihre Vorgängerin Angela Merkel. Aber sie hat ein klares sozialliberales Profil. Die 56-Jährige ist nicht nur Mitglied des Arbeitnehmerflügels in der CDU. Sie will auch Rentner von Sozialabgaben entlasten, kämpfte für die Mütterrente und bekennt sich zum Mindestlohn. Anders als Friedrich Merz taugt sie nicht als Feindbild der Genossen. Und in der Gunst der Bundesbürger schneidet sie deutlich besser ab als die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles.

Merz bot Explosionspotential

Ihre Glückwünsche an die neue CDU-Chefin garnierte Nahles mit einem Lob für die alte. AKK trete "in große Fußstapfen", twitterte sie – und ging sofort in den Arbeitsmodus über: "Jetzt heißt es, Probleme lösen." Tatsächlich bleibt der SPD im Moment nichts anderes übrig, als wieder einmal eine gute Zusammenarbeit auf Sachebene anzumahnen. Wenn jemand handfesten Zoff verspach, dann war das Friedrich Merz. Vor der Wahl hatte selbst Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im "Tagesspiegel" eingeräumt, dass die Spannungen in der Großen Koalition unter Merz hätten zunehmen können: "Er ist ja ein Politiker, der bewusst polarisiert."

Offenbar gab es einige Genossen, die genau darauf spekulierten – und das, obwohl die SPD nach dem wochenlangen Koalitionszoff im Sommer am meisten hat einstecken müssen. Zwar ist es ruhiger geworden seit der Landtagswahl in Bayern. Doch den Sozialdemokraten hat das in den Umfragen nicht geholfen. Sie dümpeln weiter bei 15 Prozent herum. Die Zahl derer, die glauben, dass die Partei nur noch durch einen Groko-Austritt zu retten ist, dürfte kaum geschrumpft sein. Ein handfester Streit um Grundsätzliches hätte den Druck auf die SPD-Spitze in dieser Frage womöglich wieder erhöht – und Merz bot mit seinen Äußerungen zum Asyl-Grundrecht und zur privaten Altersvorsorge mithilfe von Aktienpaketen genügend Eskalationspionspotenzial.

SPD – Regieren oder opponieren?

Nun ist diese Option vom Tisch. Die SPD muss sich aus eigener Kraft aus der Sinnkrise befreien – was ungleich schwieriger ist. Dem Ziel des CDU-Parteitags, "Zusammenführen und zusammen führen", könnten auch die Sozialdemokraten derzeit kaum ferner sein. Während intern der Groll gegen die unglücklich agierende Parteichefin wächst, verrät die SPD nach außen die eigenen Werte: Eine Grundgesetzänderung, die den Weg für Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in deutsche Klassenzimmer freimachen sollte, blockierten auch die SPD-regierten Bundesländer – aus Prinzip. Dem Wähler ist das kaum zu vermitteln. Zumal die SPD den Digitalpakt stets als eigenen Verhandlungserfolg im Koalitionsvertrag verkauft hat.

Problematisch für das Image der Gerechtigkeitspartei erweist sich auch die geplante Grundsteuerreform von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, weil sie womöglich Mieter in deutschen Großstädten noch stärker belasten wird. Gleichzeitig bejubelt die SPD ihre Reform der zuvor weitgehend wirkungslos gebliebenen Mietpreisbremse. All das erweckt den Eindruck, die deutsche Sozialdemokratie verfolge keine einheitliche Linie mehr. Prominente Parteiaustritte lasten deshalb umso schwerer auf dem Erneuerungsmantra, das an der SPD-Spitze noch immer beschworen aber nicht umgesetzt wird. Zuletzt verabschiedete sich der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow von der SPD – inklusive einer bitteren Abrechnung.

Ihm folgte vor ein paar Tagen die als "SPD-Putzfrau" bekannt gewordene Gewerkschafterin Susanne Neumann. Was beiden – trotz aller Sonderparteitage, Debattencamps und Lenkungsgruppen – fehlte, war das Gefühl mitzuentscheiden; eine Stimme zu haben und gehört zu werden. Die "Schlipsträger" seien diejenigen, die in der Partei den Weg bestimmten, erklärte Neumann. Und meinte damit offenbar Typen wie Merz. Weil die SPD auf diese tiefe Spaltung zwischen Basis und Führung keine Antwort gefunden hat, suchte manch einer wohl einen einenden Feind. In AKK finden sie ihn definitiv nicht.

Judith Görs ist Redakteurin und Chefin vom Dienst am Newsdesk von n-tv.de und berichtet für die Politik vor allem über Frankreich.

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