Politik

Chancenlos, aber gestärkt: Der geheime Sieger heißt Spahn

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Jens Spahn wird sicherlich seine nächste Chance bekommen – und nutzen.

Von Benjamin Konietzny, Hamburg


Im Wettlauf um den CDU-Vorsitz ist schnell klar: Jens Spahn ist im Grunde chancenlos. Am Ende reicht es nur für 15,7 Prozent der Delegiertenstimmen. Doch eigentlich ist für ihn diese Niederlage ein Sieg.

Jens Spahn zieht zum ersten Mal in den Bundestag ein, da ist er gerade einmal 22 Jahre alt. Als Vorsitzender der Jungen Union Borken hatte er seine Chance erkannt und genutzt. Es war damals eine kleine Sensation im Westmünsterland. Spahns Weg in Berlin jedoch war zunächst steinig: keine Verbindungen in der Fraktion, keine Erfahrungen, keine mächtigen Fürsprecher. Als junger Abgeordneter musste er langsam lernen, wie die Mechanismen der Politik funktionieren. Mit erstaunlichen Ergebnissen: Er wurde Obmann, leitete Arbeitsgruppen, machte sich allmählich einen Namen. 2014 wurde er ins Präsidium der CDU gewählt, ein Jahr später machte ihn der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Staatssekretär. Nach der vergangenen Bundestagswahl wurde er schließlich Gesundheitsminister – im Alter von 37 Jahren. Für den Ehrgeiz-Menschen Spahn kann es eigentlich nur eine Art geben aus der verpassten Wahl zum CDU-Chef zu gehen: noch selbstbewusster.

Als er am 29. Oktober bekanntgab, dass er für den CDU-Vorsitz kandidieren will, war das auch so eine Chance, die er ergriff. Angela Merkel hatte gerade erklärt, dass sie beim Parteitag nicht mehr kandidieren wolle und mehrere Persönlichkeiten fühlten sich berufen, ins Rennen um ihre Nachfolge zu gehen, bevor das Machtvakuum an der Spitze sie unkontrolliert anzusaugen drohte. Für Spahn, der sich in den Jahren zuvor als konservativer Kritiker der Kanzlerin profiliert hatte, als jemand, der nicht davor zurückschreckte, der mächtigsten Frau der Welt die Stirn zu bieten, schien die Gelegenheit geeignet. Die CDU erneuern, wieder auf einen konservativen Kurs bringen, klare Botschaften senden, die bei den Menschen ankommen – so etwas schwebte ihm vor.

Er versuchte es – immerhin

Doch es gab einen anderen Kandidaten, der die Sehnsüchte nach Erneuerung und mehr konservativem Profil wirksamer ansprach als er. Einer, der schon von deutscher Leitkultur sprach als Spahn noch ein Bank-Azubi war und der einst von Merkel geschasst wurde und plötzlich aus dem Hintergrund wieder auf die ganz große Bühne trat. Friedrich Merz ist besonders vielen älteren CDU-Mitgliedern noch als politisches Ausnahmetalent in Erinnerung geblieben. Einer aus dem konservativen Flügel, der es ganz weit hätte bringen können, wäre ihm Merkel nicht im Weg gewesen. Merz löst eine regelrechte konservative Euphorie in der Partei aus. Er bildet den Kontrast zu Merkels Favoritin, Annegret Kramp-Karrenbauer – bei der viele fürchten, dass sie für eine Fortsetzung der Ära Merkel mit verändertem Personal stehen könnte.

Spahn muss schnell klar geworden sein, dass er im Grunde chancenlos war. In Umfragen bewegt er sich teilweise im einstelligen Bereich, wohingegen AKK und Merz den Großteil der Stimmen für sich gewinnen. An der Parteibasis ist während der acht Regionalkonferenzen oft zu hören, dass Merz der Favorit ist, kurz gefolgt von AKK – oder umgekehrt. Kaum jemand sieht Spahn künftig an der Spitze der Partei. Doch noch etwas anderes ist an der Basis zu hören. Nämlich lobende Worte, dass er die Chance ergreift und etwas für die Debattenkultur in der CDU tut. Ein dritter Kandidat auf der Bühne scheint vielen Parteimitgliedern das Gefühl zu geben, eine echte Wahl zu haben. Und bei aller Aussichtlosigkeit nutzt Spahn diesen Moment für sich. Er profiliert sich während der Regionalkonferenzen als Taktgeber. Der chancenlose Dritte im Hintergrund? Keine Spur. Der Gesundheitsminister begegnet seinen Konkurrenten mit viel Elan auf Augenhöhe, hält euphorische Ansprachen. Bei dem Publikum kommt er teilweise nicht besonders gut an. Doch darum geht es ihm gar nicht mehr.

Bei seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag dann versucht er es mit Elementen, die originär eigentlich eher seinen beiden Mitbewerbern zugerechnet werden könnten. Die einen Sätze könnten von AKK stammen, die anderen von Merz. Bei den Delegierten ist die Begeisterung mäßig. Doch er hat seine Momente: "Ja, natürlich kenne ich solche Umfragen", spielt er auf seine offensichtliche Chancenlosigkeit an. "Ich stehe aber hier, weil es sich richtig anfühlt", sagt er und holt zum ersten Mal echte Begeisterung ab. Es ist eine Mischung aus Selbstironie und realistischer Einschätzung. Er habe dieser Partei eine Wahl geben wollen. Das kommt an.

Die nächste Chance wird kommen

Für den Vorsitz der CDU reicht es dennoch nicht. 15,7 Prozent der Delegierten geben ihm seine Stimme. Das ist deutlich mehr als in vielen Umfragen. Und so wird man sich an seine Kandidatur in der Partei erinnern. In der Unionsfraktion ist sein Ehrgeiz schon gewissermaßen legendär. Er schreckt nicht vor der Verantwortung zurück, steht für seine Inhalte ein und lässt sich von Umfragen nicht abschrecken – unermüdlich. Alles Tugenden, auf die in der Spitzenpolitik großen Wert gelegt wird. Das hat er während der vergangenen Wochen unter Beweis gestellt.

Wenn seine Kandidatur, gerade wegen ihrer Aussichtslosigkeit zuletzt eine Botschaft senden sollte, dann ist es diese: Mit Spahn ist weiter zu rechnen. Und es ist eine Frage der Zeit, bis die nächste Möglichkeit kommt, bei der er seinen Ehrgeiz unter Beweis stellen wird. Denn über Spahn wissen sie spätestens jetzt: Er ergreift Chancen und wenn es für ihn nicht reicht, schaut er zu und lernt die Mechanismen der Politik. Wie damals, als er sich aus der Provinz im westfälischen Ottenstein vom einfachen Abgeordneten ohne Netzwerk, ohne mächtige Fürsprecher bis ins Bundeskabinett gearbeitet hat.

Zwei Eigenschaften, sagen Freunde wie Feinde, haben diese Karriere befeuert: viel Ehrgeiz und wenig Geduld. Dass Spahn kaum Aufwand betreibt, beides zu verstecken, gilt als Mitgrund für seine Unbeliebtheit. Andererseits gibt es im politischen Berlin kaum einen, der ernsthaft bestreitet, was für ein talentierter Machtpolitiker Spahn ist und wie sehr er sich fachlich auskennt – noch dazu im komplizierten Bereich der Gesundheitspolitik, in dem Glänzen traditionell schwerfällt. Seine Pläne für die absehbare Zukunft hat Spahn einmal mit dem Satz "Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden" zusammengefasst.

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