Wissen und Technik

Auf der Suche nach Heiratsvermittlern

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UniSysCat erforscht komplexe katalytische Systeme für die grüne Chemie der Zukunft.

Welche Faktoren steuern die Kopplung von enzymatischen Prozessen? In Pflanzen laufen sie blitzschnell nacheinander ab.

Während Sie diesen Text lesen, laufen in Ihrem Körper Abermillionen von chemischen Reaktionen ab. Diese sorgen zum Beispiel dafür, dass Ihre Körpertemperatur nicht zu stark schwankt, dass ihre Zellen nicht verhungern, dass Sie sich bewegen können. Dabei produzieren Sie keine Abfälle, die nicht recycelbar wären.

Und dann werden Sie von alldem auch noch so wenig in Anspruch genommen, dass Sie zeitgleich atmen, sitzen, lesen und sich fragen können, warum Sie sich das erstaunlich kompakte biochemische Wunderwerk vergegenwärtigen sollen, dass Sie sind. Ziel ist, Ihnen die immense Faszinationskraft ebenso wie die Komplexität der Prozesse vor Augen zu führen, die Chemieprofessor und Katalyse-Experte Matthias Drieß von der Technischen Universität Berlin umtreiben.

Der Vizesprecher des Exzellenzclusters UniSysCat untersucht unter anderem, unter welchen Bedingungen unterschiedliche chemische Reaktionen nacheinander geordnet auf kleinstem Raum ablaufen können. Die Erkenntnisse, die Drieß und seine Kolleginnen und Kollegen gewinnen, könnten das Zeitalter der grünen Chemie von morgen einläuten.

Zum Beispiel: Ammoniak. Der ist für die Welternährung von entscheidender Bedeutung, kommt hauptsächlich in Düngemitteln zum Einsatz und wird seit etwas mehr als 100 Jahren mittels eines großindustriellen Verfahrens, der Haber- Bosch-Synthese, gewonnen. Bei rund 400 Grad Celsius und 200-fachem Atmosphärendruck vereinigen sich hier, ausgehend von molekularem Stickstoff und Wasserstoff, pro Molekül ein Stickstoff- und drei Wasserstoffatome. Besonders „grün“ im Sinne von Energieeffizienz und Nachhaltigkeit ist das Verfahren nicht. Zum Vergleich der Blick in den Garten: Permanent wandeln hier im Boden lebende Knöllchenbakterien elementaren Stickstoff aus der Luft in Ammoniak um – ein für die davon profitierenden Pflanzen lebenswichtiger Vorgang. Hoher Druck? Hohe Temperaturen? Hoher Energieaufwand? Fehlanzeige.

„Wir müssen mit Hilfe von Katalyse Recycling betreiben“

„Bei beiden Verfahren spielt die Lockerung von starken chemischen Bindungen die entscheidende Rolle“, erläutert Matthias Drieß. Der Hintergrund: molekularer Wasserstoff und Stickstoff verbinden sich weder im Reaktor noch in der Natur freiwillig zu Ammoniak, sondern nur unter dem Einfluss sogenannter Katalysatoren. Ammoniak ergeht es hier ebenso wie mehr als 85 Prozent aller heute verfügbaren Produkte aus der chemischen Industrie: Katalysatoren säumen ihren Herstellungsweg, machen die Produktion von Baustoffen, Medikamenten und Kosmetika überhaupt erst ökonomisch oder möglich. Vorstellen solle man sich diese chemischen Assistenten am besten als Heiratsvermittler, schlägt Matthias Drieß vor. „Katalysatoren lösen bisherige Bindungen auf, so dass die Reaktionspartner ledig werden, vermitteln dann, dass neue Bindungen geknüpft werden und gehen nach getaner Arbeit ‚unverbraucht’ wieder aus dem Prozess hervor.“

Der Umstand, der die „Hochzeit“ in der Natur grüner und wesentlich weniger aufwändig macht: Die Evolution hat Reaktionsnetzwerke hervorgebracht, die mehrere verschiedene Reaktionen auf engstem Raum katalysieren. So schont sie Ressourcen, nutzt Synergien. Die herkömmliche, industrielle Produktion hingegen vollzieht einen Produktionsschritt nach dem anderen – auf Hunderten von Quadratmetern großen Industrieanlagen. „In einer einzigen Pflanzenzelle als Reaktionsraum laufen mehrere Reaktionsketten blitzschnell gekoppelt und verlässlich nacheinander ab, für die wir in der Produktion eine riesige Industrieanlage bräuchten“, verdeutlicht Drieß. Die Bedeutung von Grundlagenforschung im Bereich der gekoppelten Katalyse könne man insofern gar nicht genug betonen.

„Angesichts knapper werdender Ressourcen müssen wir mit Hilfe von Katalyse Recycling betreiben und dafür nachhaltige Energiequellen nutzen“, betont Drieß. Fossile Brennstoffe gingen zwar – Stichwort Energiekrise – tatsächlich bald zur Neige, nicht aber die Sonnen-, Wind- und Wasserenergie. „Nostradamus-Meldungen werden nicht eintreffen“, versichert der Forscher. Letztlich gehe es um Effizienz. „Für mich ist auf lange Sicht die künstliche Pflanze die Ultima Ratio. Wenn wir es richtig angehen, werden wir in der Lage sein, es besser zu machen, als die Natur.“

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