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„Wir wären dankbar gewesen“

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Weltweit wird der Versuch kritisiert, das Erbgut des Menschen per Genschere zu verändern. Für eine Mutter erbkranker Kinder ist das aber keine Schreckensvision.

Mukoviszidose-Patienten brauchen Tabletten, Desinfektionsmittel, Sauerstoffgeräte und Absaug- oder Abpumphilfen – um den genetisch…

Der Einsatz der Gen-Schere CRISPR/Cas9 an Embryonen, um Menschen resistent gegen Aids-Viren zu machen, stößt international auf Kritik. Der chinesische Forscher Jiankui He will – offenbar im Alleingang – den zwei Mädchen Nana und Lulu im chinesischen Shenzhen mit dieser Genveränderung auf die Welt geholfen haben. Für Menschen, die Erfahrungen mit Erbkrankheiten haben, sind korrigierende Eingriffe ins Erbgut von Keimzellen oder Embryonen (Keimbahneingriffe genannt), jedoch alles andere als ein Schreckensszenario. So auch eine 38-jährige Mutter*, die insgesamt zwölf Runden künstliche Befruchtung durchstehen musste, um ihre zwei Kinder, heute sieben und drei Jahre alt, auf die Welt zu bringen. Dann stellte sich heraus, dass beide an Mukoviszidose leiden, einer vererbbaren Stoffwechselerkrankung, an der in Deutschland etwa 8000 Menschen leiden. Hätte es damals schon die Möglichkeit der Keimbahntherapie gegeben, sie hätte sie womöglich genutzt, sagte sie im Tagesspiegel-Gespräch.

Wie haben Sie erfahren, dass Ihre Kinder an Mukoviszidose erkrankt sind?
Beide Kinder sind über eine künstliche Befruchtung entstanden. Diesen Weg mussten wir beschreiten, weil ich unter Endometriose leide und aufgrund von Operationen nur noch einen Eierstock und Eileiter habe. Der übrige Eierstock war sehr angegriffen, beim zweiten Kind sind die Eizellen zwar herangereift, aber nicht so viele und nicht in der nötigen Qualität. Es gab Befruchtungszyklen, wo von 14 Eizellen nur drei befruchtet wurden. Das war alles nicht ohne und auch nicht gerade billig. Dass unsere Kinder Mukoviszidose haben, erfuhren wir erst nach der Geburt unseres zweiten Kindes, das mit Darmverschluss geboren wurde. Als die Diagnose feststand, wurde auch der ältere Bruder getestet.

Sie hätten weder die Möglichkeit gehabt, mithilfe von Präimplantationsdiagnostik gesunde Embryonen auszuwählen, noch den Gendefekt per Keimbahntherapie in der Petrischale zu reparieren?

Weder die eine noch die andere Frage stellte sich bei uns. Wir wussten ja nicht einmal, dass mein Mann und ich genetisch „vorbelastet“ sind, also die entsprechenden Mutationen tragen.

Gab es keine genetische Untersuchung, die hätte zeigen können, dass Sie Träger der Mutation sind?

Wir waren bei einer genetischen Beratung in Hessen, dort ist das sogar Pflicht, aber damit können nicht alle Eventualitäten abgeklärt werden. Man muss wissen, wonach man sucht.

Wenn Sie heute die Möglichkeit hätten, würden Sie eine Keimbahntherapie in Erwägung ziehen, um den Gendefekt reparieren zu lassen?

Für uns kommt das jetzt nicht mehr in Betracht, aber die Frage habe ich mir durchaus gestellt. Denn als Betroffene kommen wir auch mit anderen Eltern in Kontakt, die noch ein Kind möchten, obwohl sie schon ein Kind mit Mukoviszidose haben, und die sich fragen, ob sie vorher einen Gentest machen oder erst während der Schwangerschaft? Jeder geht damit anders um. Für uns wäre das nicht infrage gekommen, das Kind erst während der Schwangerschaft wegmachen zu lassen. Insofern wäre ich für eine Möglichkeit dankbar gewesen, das im Vorfeld zu analysieren und entweder die Embryonen zu nehmen, die gesund sind, oder sie eben so zu verändern, dass ein gesundes Kind dabei herauskommt.

Bei der Präimplantationsdiagnostik verwirft man jene Embryonen, bei denen ein Gendefekt festgestellt wird. Hätten Sie damit ein Problem?

Nein. Wir hatten am Ende der Befruchtungsprozedur vier Embryonen zur Verfügung. Maximal drei darf man einpflanzen. Was macht man also mit dem vierten? Einfrieren für 10.000 Euro? Wir haben uns drei einsetzen lassen, einen Embryo mussten wir eh verwerfen.

Wenn so wenig Embryonen zur Auswahl stehen, ist die Präimplantationsdiagnostik dann noch eine Option? Bei nur vier Embryonen könnten doch alle vier den Defekt tragen?

Ja, es kann durchaus sein, dass wir gar nicht die Wahl gehabt hätten. Die Keimbahntherapie wäre dann die einzige Methode gewesen, gesunde Kinder zu bekommen.

War Adoption keine Möglichkeit für Sie?

Wir hatten uns über Adoption informiert, und das wäre auch unser Plan B gewesen. Aber die Bedingung der Adoptionsstelle war, dass die eigene Kinderplanung abgeschlossen sein muss. Und das war bei uns noch nicht durch. Wir konnten uns zwar vorstellen, ein fremdes Kind anzunehmen und es zu lieben. Aber das ersetzt eben nicht den Wunsch nach dem eigenen Kind, das du selbst auf die Welt bringst und das dir ähnlich sieht.

Was bedeutet es, Kinder mit Mukoviszidose zu haben?

Es ist eine Herausforderung. Unseren Kindern geht es vergleichsweise gut. Der Ältere ist weniger stark betroffen als der Jüngere, dessen Lunge stark in Mitleidenschaft gezogen ist. Wir müssen dreimal täglich inhalieren, jeweils etwa 25 Minuten, um den zähen Schleim zu verflüssigen, der in der Lunge hängt und raus muss – mithilfe von Turnübungen und speziellen Atemtechniken. Da ist man pro Kind mindestens zwei Stunden beschäftigt. Natürlich gibt es tolle Entwicklungen und Medikamente, die Kinder werden heute viel älter als früher. Aber trotzdem ist es kein Schnupfen, sondern eine lebensverkürzende, unheilbare Krankheit.

Raten Sie Ihren Kindern zu einer Keimbahntherapie, sollten sie selbst Kinder wollen?

Auf jeden Fall. Natürlich müssen sie das dann selbst entscheiden. Aber die Betroffenen wissen ja, was sie durchmachen.

*In einer früheren Version des Textes wurde der Name der Gesprächspartnerin wie vereinbart (verkürzt) genannt. Auf ihre spätere Bitte hin, haben wir den Namen nun doch entfernt.

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