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“Schmuddelkinder der Nation”: Kohlekumpel kämpfen um Jobs und Respekt

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Die Angst vor Arbeitslosigkeit sitzt bei den Beschäftigten in der Kohleindustrie tief.


In Bergheim in Nordrhein-Westfalen protestieren Tausende Menschen für den Erhalt der Braunkohleförderung. Viele von ihnen sind RWE-Mitarbeiter. Sie haben Angst um ihre Arbeitsplätze – und fordern eine faire Behandlung.

Mehr als 30.000 sollen es am Ende sein, die lautstark auf dem Gelände in Elsdorf am Tagebau Hambach stehen. Monatelang haben Kohlegegner im Hambacher Forst das Bild des Rheinischen Reviers bestimmt. Beim Treffen der Kohlekommission am heutigen Mittwoch demonstrieren dagegen Tausende aus Energiewirtschaft und Industrie für die Kohle. Aus vielen spricht die Angst um den Job – aber auch Wut und Verletzung.

"Ich erwarte, dass man vernünftig mit uns umgeht", ruft der Bürgermeister der kleinen Stadt Elsdorf am Tagebaurand, Andreas Heller, von der Bühne in die Menge. Viele Demo-Teilnehmer tragen die Arbeitskluft des Energiekonzerns RWE. Über Jahrzehnte seien die Städte an den Tagebauen der Motor für Wohlstand in Nordrhein-Westfalen gewesen. Sie hätten Dreck und Landverlust durch die Tagebaue in Kauf genommen. "Jetzt komme ich mir vor, wie der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat", ruft er. Jetzt würden sie wegen der Braunkohle wie die "Schmuddelkinder der Nation" behandelt.  Er fordert Respekt, genauso wie der Gewerkschaftsvorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis: Es sei zynisch und respektlos, Menschen, die ihrer Arbeit nachgingen, zu behandeln "als würden sie Giftgas produzieren".

Der Kohle-Konflikt hat Spuren hinterlassen. Es ist die Zerrissenheit, von der der Kommissionsvorsitzende Matthias Platzeck bei der Kundgebung spricht: "Wir sind in einer schwierigen Phase der gesellschaftlichen Entwicklung. Unsere Gesellschaft ist zerrissen." Er wolle einen Beitrag leisten, dass der Strukturwandel dem Menschen Zukunft und Entwicklung gebe.

Platzecks Kommission soll bis Ende des Jahres einen Plan für den Ausstieg Deutschlands aus der Stromgewinnung aus Kohle vorlegen. Während des Protests im Revier tagt sie nur wenige Kilometer entfernt von den Demonstranten.

"Nehmt unserem Papa den Job nicht weg"

Die Angst vor Arbeitslosigkeit sitzt tief. Wie bei Christoph Wagner, der mit seiner Frau und seinen kleinen Töchtern gekommen ist. "Nehmt unserem Papa den Job nicht weg", haben sie auf ein Plakat gemalt. Wagner arbeitet im RWE-Kohlekraftwerk Neurath. "Ich habe Angst, dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt", sagt er offen. Die Kohle akzeptiert er als Auslaufmodell, aber er fordert ein "gesundes Enddatum für einen tragfähigen Strukturwandel mit neuen Arbeitsplätzen."

Allein am Braunkohle-Tagebau Hambach, von dem Neurath die Kohle bekommt, hängen nach Angaben des Energiekonzerns RWE rund 4600 Arbeitsplätze.
Angst hat auch bei Richard Relle, Azubi bei der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft in Sachsen-Anhalt. "Bei uns in der Region gibt es doch kaum andere Arbeitsplätze. Wenn ich meine Stelle verliere, muss ich auf Montage gehen", sagt der 18-Jährige, der mit vielen anderen Auszubildenden gekommen ist.

"Wir leben von der Kohle und nicht von Grünen Märchen" steht auf einem ihrer Plakate. Im Rheinischen Revier hatten die Beschäftigten schon mal an Sicherheit geglaubt – nämlich als die rot-grüne Vorgängerregierung vor rund zwei Jahren den Braunkohletagebau Garzweiler II um ein Drittel verkleinerte.

An der Laufzeit bis 2045 wurde festgehalten. Jetzt doch wieder Unsicherheit, auch für Unternehmen wie Sanders Tiefbau vom Niederrhein, das für RWE arbeitet. "Wenn wir zu früh aus der Braunkohle aussteigen, sind Arbeitsplätze bei uns gefährdet", sagt der Chef des Familienunternehmens, Ralf Mocken. Die Folgen des Kohle-Konflikts könnte er schon jetzt zu spüren bekommen: Wenn RWE wie angekündigt wegen des vorläufigen Rodungsstopps im Hambacher Forst die Förderung in Hambach drosselt, "dann wird sich das auf uns auswirken".

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