Wissen und Technik

Lehrkräfte klagen über schlechte Schrift der Schüler

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Die Fähigkeit von Schülern, leserlich mit der Hand zu schreiben, verschlechtert sich, zeigt eine Lehrer-Umfrage. Mitschuld sei die digitale Kommunikation.

Je flotter das Handschreiben, desto nachhaltiger das Lernen, sagen Experten.

Lesen, Schreiben und Rechnen sind die Pfeiler der Grundbildung – und immer wieder Anlass zur Sorge um Schülerleistungen in Deutschland. Bildungsstudien wie Vera oder Pisa drehen sich um die Lesefähigkeit, also die notwendigen Kompetenzen, um Texte zu verstehen, und um mathematisches Verständnis. Beim Schreiben wird in bildungspolitischen Diskussionen vor allem die Rechtschreibung problematisiert.

Doch wie steht es um das Schreiben als motorische Technik, um Texte zu reproduzieren, Informationen und Ideen aufzuzeichnen? Eine am Dienstag veröffentlichte bundesweite Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) unter Lehrkräften zum Handschreiben weist jetzt auf erhebliche Defizite hin.

Die Lage hat sich noch einmal verschärft

Nur vier Prozent der Lehrkräfte an den weiterführenden Schulen sind mit der Handschrift ihrer Schülerinnen und Schüler zufrieden. Für die Grundschulen sieht es besser aus: Dort sind 16 Prozent zufrieden und zwei Prozent sogar sehr zufrieden.

Gegenüber einer Vorgängerumfrage von 2015 hat sich die Lage verschärft. Damals waren noch 24 Prozent der Grundschullehrkräfte zufrieden oder sehr zufrieden, in der Sekundarstufe lag der Zufriedenheitswert mit dem Schriftbild noch bei fünf Prozent. Schulformübergreifend beklagen heute 93 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer eine unleserliche Handschrift ihrer Schülerschaft. Für die Studie des VBE in Kooperation mit dem Düsseldorfer Schreibmotorik-Institut wurden von September 2018 bis Januar 2019 rund 2000 Mitglieder der Lehrergewerkschaft VBE online befragt. Das Schreibmotorik-Institut wird vom Schreibgeräte-Hersteller Stabilo gefördert, versteht sich aber als unabhängig.

In der Umfrage zeigen sich große Geschlechterunterschiede. An den Grundschulen haben den Lehrkräften zufolge 45 Prozent der Jungen Probleme mit dem Handschreiben, aber nur 29 Prozent der Mädchen. An den Sekundarschulen liegt das Verhältnis bei 53 Prozent zu 33 Prozent. Allgemein stellen 89 Prozent der Lehrkräfte an den Grundschulen wie schon 2015 fest, dass sich die Voraussetzung der Schülerinnen und Schüler, um eine Handschrift zu entwickeln, in den vergangenen Jahren verschlechtert haben. Sekundarschullehrkräfte wurden nach der Entwicklung der Handschrift gefragt, hier sehen 86 Prozent eine Verschlechterung.

Handschreiben aktiviert zwölf Hirnareale

Worin genau bestehen die Probleme? Dem Schreibmotorik-Institut geht es ausdrücklich „nicht in erster Linie ums Schönschreiben“, wie Geschäftsführerin Marianela Diaz Meyer betont. Das Handschreiben sei vielmehr grundlegend für die Lesefähigkeit, die Rechtschreibung und für das Textverständnis – und damit für die schulischen Leistungen insgesamt. Zu Recht stellten Dreiviertel der befragten Lehrkräfte einen Zusammenhang mit dem Handschreiben und den schulischen Leistungen her.

„Mit der Hand zu schreiben aktiviert zwölf verschiedene Areale im Gehirn – von der Wahrnehmung über die Verarbeitung von Informationen bis zur motorischen Ausführung“, sagte Diaz Meyer. Ein Beispiel sind Spickzettel, die Schüler während eines Tests nicht mehr konsultieren müssen, weil sie sich schon durchs Aufschreiben alles gemerkt haben.

Konzentrationsprobleme, aber auch zu wenig Routine, schlechte Motorik und Koordination werden von zwei Dritteln der Lehrkräfte als häufige Ursachen für Probleme beim Handschreiben genannt. Gefragt wurden sie auch nach der Ausdauer. Demnach können nur 40 Prozent 30 Minuten und länger beschwerdefrei schreiben – die Mehrheit hat eine verkrampfte Stifthaltung. Wer nicht flott und flüssig schreiben könne, schaffe es nicht, Informationen aus dem Unterricht mitzuschreiben oder schriftliche Tests in der vorgegebenen Zeit fertigzustellen, warnt der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann.

Skepsis bei digitalen Endgeräten im Unterricht

Lehrkräfte machen die fortschreitende Digitalisierung der Kommunikation und den zu starken Medienkonsum für die Defizite mitverantwortlich. Bei der Frage nach geeigneten Schreibmedien sprechen sich schulformübergreifend über 90 Prozent für Stift und Papier aus. Nur 22 Prozent der Grundschullehrkräfte plädieren für Tastatur und Computer. Bei den Sekundarschullehrkräften sind es dagegen 61 Prozent – und knapp die Hälfte von ihnen bewertet die handschriftliche Eingabe auf dem Tablet positiv.

Dass zunehmend auch Smartphones im Unterricht eingesetzt werden – wie in der „Bring your own device“-Strategie des Digitalpakts vorgesehen -, lehnen die meisten ab: Drei Viertel der Grundschullehrer und 59 an der Sekundarschule halten es für (sehr) schlecht bis kaum zum Schreiben geeignet. “Digitalisierung gibt es nicht zum Nulltarif”, mahnt Beckmann.

Eine Stunde Training pro Woche reicht

Handschreiben und Digitalisierung seien „keine Gegensätze“, betont Diaz Meyer. Werde mit einem Stift auf dem Tablet oder anderen digitalen Oberflächen geschrieben, sei das ebenso wertvoll. Gemeinsam mit den Unis in Regensburg, Darmstadt und Nürnberg wolle das Schreibmotorik-Institut jetzt erforschen, wie sich das Handschreiben in die schulische Nutzung digitaler Medien integrieren lasse. Ein entsprechender Antrag laufe beim Bundesbildungsministerium.

Doch schon für herkömmliche Schreibübungen mit Stift und Papier fehlt es an den Grundschulen an Zeit. Und an den weiterführenden Schulen sind Schreibübungen gar kein Thema mehr, wie Diaz Meyer kritisiert. Sie plädiert für gezieltes fein- und schreibmotorisches Training von der Kita bis in die Sekundarschule. Eine Studie ihres Instituts mit Schreibanfängern hat 2017 ergeben, dass eine Stunde Training pro Woche ausreicht, „damit Kinder signifikant besser und schneller schreiben lernen“. Dabei malen sie etwa mit Farbstiften Kringel, Wellen- und Zickzacklinien, die zunehmend die Gestalt von Buchstaben annehmen.

Müsste das im letzten Kitajahr oder in der ersten Grundschulklasse nicht selbstverständlich sein? Wie sonst sollen Kinder die Grundformen der Buchstaben einüben? VBE-Chef Beckmann kritisiert, dass es da „an den Grundlagen“ fehle. Lehrkräfte hätten nicht die Zeit, die Kinder individuell zu unterstützen. Beckmann fordert den Einsatz multiprofessioneller Teams – und Fortbildungen, bei denen Lehrkräften Methoden des schreibmotorischen Trainings vermittelt werden.

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