Wissen und Technik

Im Kampf gegen Resistenzen droht die Niederlage

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Schädlinge und krank machende Mikroben wappnen sich immer effektiver gegen Wirkstoffe. Nötig wären neue, komplexe Strategien und bessere Planung.

Auf Isolierstationen werden auch Patienten, die an resistenten Keimen leiden, behandelt.

Die Verbreitung von Resistenzen ist ein immenses Problem – in der Medizin wie in der Landwirtschaft. Forscher warnen, dass der Evolutionsmotor der Schadorganismen, der die Resistenzen hervorbringt, das Rennen gegen die menschlichen Designer neuer Wirkstoffe bald gewinnen könnte. Die Auswirkungen auf Gesundheitsversorgung und Lebensmittelproduktion sind nicht abzusehen.

Neue Konzepte notwendig im Umgang mit Schädlingen

Im Magazin „Science“ widmen sich heute mehrere Forschergruppen diesen Problemen. Sie fordern neue Strategien. In der Landwirtschaft etwa sei ein Maßnahmen-Mix nötig, der Ökologie und Genetik berücksichtige, schreiben Fred Gould von der North Carolina State University und seine Kollegen. Erstmals sei 1914 eine Resistenz gegen ein Insektizid dokumentiert worden. Der Forscher habe bereits gewarnt, das Problem werde sich fortsetzen, wenn die Mittel nicht umsichtiger genutzt würden. Zwar habe es seit 1980 mehr als 3000 Publikationen zum Thema Resistenzmanagement gegeben. Verändert habe sich am massiven Einsatz von Insektiziden und Unkrautvernichtungsmitteln aber kaum etwas.

Das Problem geht auch weit über die Landwirtschaft hinaus. Als ein Beispiel führen die Wissenschaftler Malaria an, die von Mücken übertragen wird. Mit imprägnierten Moskitonetzen und Insektensprays seien zwischen 2000 und 2015 geschätzt 500 Millionen Malaria-Fälle verhindert worden. Inzwischen aber breiteten sich Resistenzen gegen die Insektizide aus, ein Wettlauf habe begonnen. Ob es gelingt, rechtzeitig neue – und möglichst kostengünstige – Wirkstoffe zu entwickeln, bevor die Parasiten-Erkrankung wieder mit voller Wucht zuschlägt, ist unklar. Und selbst dann wäre bald mit neuen Problemen zu rechnen.

Glyphosat und die Folgen

Auch auf das umstrittene Totalherbizid Glyphosat gehen die Forscher ein. 1996 auf den Markt gebrachte gentechnisch veränderte Nutzpflanzen etwa, deren Wachstum nicht durch Glyphosat beeinträchtig wird, hätten das Gegenteil des Geplanten erreicht: Der massive Einsatz des Herbizids auf mit solchen Pflanzen bebauten Flächen etwa in den USA und Südamerika habe zur Folge gehabt, dass mehr als 40 unerwünschte Pflanzenarten Resistenzen gegen das Herbizid entwickelten und jetzt die Felder überwuchern.

Personal auf Infektionsstationen muss mit Spezialkleidung und besonderer Hygiene geschützt werden – und davor bewahrt, keinen nach…

Und statt eines neuen Herbizids greifen Landwirte nun auf mehr als 50 Jahre alte Wirkstoffe und neue, gegen sie unempfindlich gemachte gentechnisch veränderte Nutzpflanzen zurück.

Gegen jede Herbizid-Gruppe gebe es inzwischen Resistenzen, so die Forscher. Und mehr als 550 Gliederfüßer-Arten wie Insekten und Milben seien gegen mindestens ein Insektizid unempfindlich geworden. Es gebe bereits Fälle, bei denen kein einziges Pestizid mehr wirke. Ein Umschwenken auf im Vorfeld intensiv geprüfte Ansätze sei zwingend notwendig und müsse politisch unterstützt werden.

Keine Prüfung vor der neuen Runde im Wettlauf

Das Gegenteil sei bislang der Fall. Der Verkauf der gegen die alten Pestizide unempfindlichen Pflanzen in den USA etwa sei ohne vorherige intensive Forschung, wie man Resistenzen am besten vermeiden könnte, gestartet. So werde es wohl auch bei diesen Mitteln zum massiven Einsatz kommen – gefolgt von Resistenzen. „Eine pessimistische Schlussfolgerung wäre, dass der Status quo weitgehenden Nichtstuns beibehalten wird, bis es zur großen Krise kommt.“

Über Antibiotikaresistenz schreiben Stephen Baker von der Oxford University und seine Kollegen. Eine Strategie müsse sein, diese besser zu untersuchen. In Kliniken, wo sich oft Resistenzen bilden, könne man etwa mit Genanalysen gefährliche resistente Bakterienstämme von solchen, die kaum Überlebenschancen haben, unterscheiden und dann gezielt gegen die Hochrisikostämme vorgehen.

Auch Pilze werden gegen Fungizide zunehmend unempfindlich. Es gebe eine begrenzte Zahl Wirkstoffe – und die Zuwachsrate dagegen unempfindlicher, krank machender Pilzarten sei enorm, warnen Wissenschaftler um Matthew Fisher vom Imperial College London.

Fungizide würden in vielen Bereichen eingesetzt, bei Mensch und Tier ebenso wie als Pflanzenschutzmittel, Antifouling-Anstrich oder im Holzschutz. Diese vielfältige Verwendung habe die Entwicklung von Resistenzen begünstigt. Das bedrohe auch die menschliche Gesundheit. Um Pilzinfektionen in Schach halten zu können und großflächige Ernteausfälle zu vermeiden, müsse man die verbliebenen Wirkstoffe umsichtiger einsetzen, neue Substanzen finden und alternative Lösungen zu Fungiziden entwickeln.

Die Sterblichkeitsrate bei Pilzerkrankungen sei weltweit inzwischen höher als die bei Malaria und Brustkrebs. Sowohl im klinischen als auch im landwirtschaftlichen Bereich gebe es bereits pathogene Pilze, die gegen alle verwendeten Klassen von Fungiziden unempfindlich seien.

Immunschwache Personen besonders gefährdet

Überdies steige die Zahl der für Pilzinfektionen besonders empfindlichen Personen. Dazu gehören alte Menschen, Krebspatienten und Empfänger von Spenderorganen. Damit wachse auch die Menge eingesetzter Fungizide, erläutert Fishers Team. Hinzu komme, dass pathogene Pilze über Reise- und Handelströme verbreitet werden. So wurde der gegen viele oder sogar alle Anti-Pilz-Mittel resistente Erreger Candida auris erstmals 2009 bei einem Patienten in Japan beschrieben. Inzwischen gebe es weltweit immer mehr Fälle, in denen schwer kranke Patienten mit dem gefährlichen Hefepilz infiziert sind.

Auch im Agrarbereich träten immer neue unempfindliche Erreger auf, ergänzen die Forscher. Wie für Antibiotika gelte auch für Fungizide, dass rascher neue Resistenzen auftauchen, als neue Wirkstoffe gefunden werden.

Wichtig sei die Entwicklung global gültiger Strategien mit dem Ziel, die Entstehung von Resistenzen zu verhindern, schreiben die Forscher. Zudem gelte es, die Abhängigkeit von chemischer Kontrolle zu vermindern – etwa über die Züchtung widerstandsfähiger Nutzpflanzensorten. In der Medizin gelte es, Methoden zu entwickeln, die das Risiko für Pilzinfektionen, etwa nach einer Transplantation, senken.

Chancen mit Resistenzen

Allerdings gibt es auch positive Aspekte der Resistenzbildung. Darüber schreiben Siavash Atashgahi und Hauke Smidt von der Universität Wageningen: Lebewesen ohne Zellkern, zu denen etwa Bakterien und Archäen gehören, entwickelten teilweise auch aus menschlicher Sicht wünschenswerte Unempfindlichkeiten, etwa gegen Erdöl oder Chlorverbindungen. Selbst Resistenzen gegen Antibiotika ließen sich nutzen. Etwa mit Medikamentenrückständen kontaminierte Böden oder Gewässer könnten so saniert werden.

In die Umwelt würden vermehrt biologisch hochaktive Substanzen wie Antibiotika und andere medizinische Wirkstoffe sowie Inhaltsstoffe von Kosmetika und anderen Verbrauchsgütern eingetragen, schreiben die Forscher. Noch sei wenig erforscht, wie Mikroorganismen auf solche Verbindungen in geringen Mengen reagieren. Es sei sinnvoll, natürlich vorkommende, bestimmte Substanzen abbauende Bakterien unter Laborbedingungen anzureichern und für den gezielten Einsatz in betroffenen Gebieten nutzbar zu machen.

Solche Verfahren werden Bioaugmentation genannt: Mikroorganismen werden für eine Renaturierung als Starterkultur in den Boden gebracht. Erfolgreich getestet seien solche Ansätze zum Beispiel in Gebieten, die mit sogenannten Organohalogenen – chlorierten organischen Verbindungen – verseucht sind. Chlor ist ein aggressives Gift, das in Verbindung mit Kohlenwasserstoffen in großen Mengen in die Natur eingetragen wurde. Chlorierte Kohlenwasserstoffe waren in zahlreichen Industriechemikalien und Pflanzenschutzmitteln enthalten, sie sind sehr stabil und reichern sich daher in der Umwelt an.

Inzwischen sind die Verbindungen in vielen Ländern verboten – und die Natur fand einen Weg, mit der Altlast in den Böden umzugehen: Die chlorierten Verbindungen werden von einigen Bakterien toleriert und sogar für ihr Wachstum genutzt – sie atmen die giftigen Substanzen schlicht weg (Organohalid-Atmung). Im Labor gezogene Starterkulturen davon hätten bereits bei der biologischen Sanierung verseuchter Böden geholfen, erläutern die Forscher um Atashgahi und Smidt. Annett Stein (dpa) / Richard Friebe

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