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Forscher finden Fehler in Humboldts berühmtester Karte

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Unten Bäume, oben Schnee und Eis: Die weltbekannte Andendarstellung „Tableau Physique“ Alexander von Humboldts beruht wohl teilweise auf falschen Daten.

Es ist eines der wichtigsten Werke in der Geschichte der Naturwissenschaften: Alexander von Humboldts 1807 veröffentlichtes Werk “Tableau physique des Andes et pays voisins” (“Naturgemälde der Tropenländer”). Das inzwischen ikonische Schaubild zeigt einen Querschnitt durch die Vulkane Chimborazo und Cotopaxi in Ecuador und zugleich durch den gesamten südamerikanischen Kontinent.

Am Fuße der Berge lässt er üppigen tropischen Regenwald wuchern, am Gipfel zeichnet Humboldt nichts als Schnee und Eis. Rechts und links davon finden sich die Namen von Pflanzen, die für die jeweilige Höhenstufe in den tropischen Anden typisch sind, sowie Hunderte weitere Informationen, etwa die Schneefallgrenze.

Diese wertvollen Daten sind auch wichtig für die heutige Forschung zum Klimawandel. Allerdings wurden sie bisher offenbar nie genau geprüft. Ein Forschungsteam berichtet im Fachblatt “PNAS”, dass Humboldts Darstellung ein “intuitives Konstrukt” sei, das teilweise auf unverifizierten und damit falschen Daten beruhe.

Neuere Daten seien “generell übersehen” worden

Humboldts Tableau Physique ist der mit Abstand älteste Datensatz über die Höhenverteilung tropischer Bergvegetation und eine einzigartige Quelle, um die Veränderung der Vegetation durch den Klimawandel zu untersuchen. Dem Archäologen Pierre Moret von der Universität Toulouse und seinen Kollegen fiel allerdings auf, dass Humboldts Daten bisher nicht kritisch untersucht worden waren.

Auf dieser Skizze der Vegetation in den Anden zeichnete Humboldt mitten auf dem Vulkan Chimborazo eine Hütte ein, die eigentlich…

So bemerkten sie etwa, dass in der Auseinandersetzung mit dem Tableau die in späteren Publikationen veröffentlichten Korrekturen Humboldts “generell übersehen” worden seien; genauso wie die Tatsache, dass er sich nicht spezifisch auf den Chimborazo bezog, sondern seine Ergebnisse für die gesamten äquatorialen Anden (von 10° Nord bis 10° Süd) gelten sollten.

Die Forscher beschlossen, die Ergebnisse Humboldts und seines Begleiters, des Botanikers Aimé Bonpland, zu verifizieren – mehr als 200 Jahre, nachdem die Männer in den Anden unterwegs waren.

Manche Angaben schwankten um mehr als 1000 Meter

Zuerst suchten sie in den Veröffentlichungen der beiden Forscher nach Angaben zu Höhenstufen und der jeweiligen Vegetation und verglichen sie mit den Daten im Tableau. Dabei fanden sie zum Beispiel heraus, dass Humboldt mit jeder aufeinanderfolgenden Veröffentlichung zwar mehr Pflanzen oberhalb von 3900 Meter beschrieb, aber jeweils andere. Außerdem schwankten die Angaben zu den jeweiligen Höhenstufen teilweise um mehr als 1000 Meter.

Weiterhin nannte der Naturforscher in seinem Schaubild die Höhe von 4600 Metern als Grenze für das Auftreten von Gefäßpflanzen, obwohl er und Bonpland in späteren Expeditionen solche Pflanzen bis zu einer Höhe von 4860 Metern fanden. Moret und seine Kollegen stießen auch noch auf weitere Unstimmigkeiten, zum Beispiel die Höhenlage des Graslands.

Insgesamt, so schreiben die Forscher, könne man Humboldts berühmte Abbildung ein Konstrukt nennen, dass auf unverifizierten, inkorrekt aufgezeichneten Felddaten beruht und sich kaum von einer Skizze unterscheidet, die Humboldt und Bonpland 1803 in Guayaquil gezeichnet hatten, kurz bevor sie Südamerika verließen.

Die Aufzeichnungen von damals leiteten die Forscher auf dem Vulkan

Außerdem fanden die Forscher anhand verschiedener Quellen heraus, dass Humboldt und Bonpland die meisten Pflanzen nicht etwa auf dem Chimborazo, sondern auf dem etwa 130 Kilometer entfernten Vulkan Antisana gefunden hatten. Also flogen sie nach Ecuador und erklommen den Antisana, ebenso wie ihre Vorgänger vor 215 Jahren.

Geleitet von den detaillierten Aufzeichnungen von damals sammelten die Forscher insgesamt 582 Pflanzen an denselben Orten. Darunter war auch eine Hütte auf 4100 Metern, in der Humboldt damals vier Tage verbracht hatte und die noch immer existiert, sowie eine Höhle in 4860 Metern Höhe.

Die Forscher in einer Höhle auf dem Antisana, wo Humboldt und Bonpland im Jahr 1802 Pflanzen sammelten.

Beim Vergleich ihrer Funde mit den Resultaten Humboldts zeigte sich, dass sich die Grenze für die in den höchsten Lagen wachsenden Pflanzen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts um etwa 215 bis 266 Meter nach oben verschoben hat.

Diese Ergebnisse liegen um etwa die Hälfte niedriger als vorherige Schätzungen für die Andenregion, die auch auf Humboldts Tableau beruhen. Sie stimmen jedoch mit Beobachtungen auf der ganzen Welt überein, dass sich der Lebensraum von Pflanzen pro Jahrzehnt um zehn bis zwölf Meter nach oben verschoben hat. Ursache ist der Klimawandel: Wo es früher zu kalt war, können Pflanzen derselben Art jetzt gedeihen.

Er wählte den Chimborazo als “majestätischsten Berg von allen”

Das zeigt, wie wertvoll Humboldts Forschung trotz der vorhandenen Unsicherheiten noch heute ist. Trotzdem mahnen die Forscher zur Vorsicht, wenn historische Quellen dazu benutzt werden sollen, um Veränderungen in der Umwelt zu dokumentieren. “Das Tableau Physique sollte nicht als exakte Repräsentation von Humboldts Theorie der Pflanzengeografie gesehen werden, sondern als dynamischer Rahmen dafür”, schreiben sie.

Humboldt selbst wusste wohl um die Ungenauigkeiten und den Konflikt zwischen Ästhetik und Exaktheit. So hat er etwa – obwohl die meisten Pflanzen von anderen Bergen stammen – für das Tableau den Chimborazo gezeichnet, weil es “der majestätischste Berg von allen” war. Außerdem bemerkte er einst selbst, dass das System der Vegetationsgürtel, wie er es in der Darstellung von 1807 zeigte, vorläufig und “perfektionierbar” sei.

In den Jahrzehnten nach der Südamerika-Reise verbrachte Humboldt denn auch viel Zeit damit, seine Theorie der Pflanzengeografie mit weiteren Daten zu beweisen – was ihm größtenteils auch gelang. Trotzdem ist nur die erste, fehlerbehaftete Version ins kollektive Gedächtnis übergegangen: das “Tableau Physique”.

Das könnte auch daran liegen, das Humboldts grundsätzliche Idee – die Darstellung der Verbundenheit allen biotischen und abiotischen Lebens – so bahnbrechend und richtig war und ist, dass sie lange alle Zweifel hinweg fegte.

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