Wissen und Technik

Die Ur-Vierbeiner vom Polarkreis

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Wo unsere Ahnen aus dem Wasser stiegen, galt bisher als ausgemacht. Es sollen tropische Gefilde gewesen sein. Doch neue Funde stellen das infrage.

Aussteiger. Umzantsia (links) und Tutusius sahen so – oder wohl eher so ähnlich aus.

Es ist eines der immer wieder auftauchenden Probleme aller möglicher Wissenschaftsdisziplinen: Dort, wo viele Forscher nachschauen, finden sie auch viel. Das geht von Überdiagnose von Krankheiten bis hin zur Frage, woher wir eigentlich kommen. Letztere schien zumindest an dem Punkt, wo die ältesten Vorfahren des Menschen das Landleben einübten, lange Zeit einigermaßen beantwortet: in den Tropen. Doch neue Funde aus Südafrika belegen: Es könnte sogar jenseits des südlichen Polarkreises passiert sein.

Besser mal woanders nachsehen

„Bislang lagen all die bekannten Fossilienlagerstätten, in denen man nach frühen Vierbeinern suchte, in Gegenden, die zur Lebenszeit dieser Tiere in den Tropen lagen; anderswo hat man praktisch nicht nachgeschaut“, sagt Robert Gess von der Rhodes University in Grahamstown. Das liegt fast an der Südspitze Südafrikas. Die Fossilien, die jetzt die schöne Theorie vom nirgends anders als in tropischer Wärme möglichen Landgang der Wirbeltiere einkassieren, lagen lange bei diesem Robert Gess im Garten. 1999 war er Straßenbauarbeiten an einer von ihm seit 1986 bearbeiteten fossilienreichen Stelle zuvorgekommen und hatte 100 Tonnen Steinblöcke mit Unterstützung der lokalen Behörden per Tieflader 40 Kilometer weit zu sich ins Dorf karren lassen. Seither hat er aus ihnen manches spektakuläre Fossil freigelegt. „Ein, zwei Tage die Woche, wenn ich gerade nicht Studenten unterrichten muss, sitze ich seit Jahren nun dort und lege alte Knochen und Ähnliches frei“, sagt Gess. Die Fundstelle namens Waterloo Farm ist inzwischen weltbekannt. Und vor ein paar Jahren bereits fand Gess zum ersten Mal ein Fossil eines frühen Vierbeiners dort, 360 Millionen Jahre alt.

Die etwas andere Gartenarbeit

Dass er damit nicht gleich an die Öffentlichkeit ging, werden ihm ein paar Kollegen vielleicht nun übelnehmen. Dazu dürften vor allem die gehören, die bis jetzt Jahre ihres Lebens an Erklärungen des Ursprungs der Landwirbeltiere in den Tropen gearbeitet haben. Die können sie jetzt erst einmal wieder in die Schublade legen – von den nun zu überarbeitenden Lehrbüchern ganz zu schweigen. Denn vor 360 Millionen Jahren lag Waterloo Farm am südlichen Zipfel des Gondwana-Kontinents. Der fand sich damals sogar südlich des Polarkreises.

Gess aber verbrachte weitere Jahre in Teilzeit in seinem Schuppen im Garten. Anfang 2017 fand er ein weiteres verdächtiges Fossil. Danach durchsuchte er das gesamte Material rund um diese Fundstelle. Im September entdeckte er weitere Knochen desselben Tieres, und noch einen Kieferknochen von einem anderen Individuum derselben Art.

Ehre sei dem Erzbischof a.D.

Gemeinsam mit Per Erik Ahlberg von der Universität Uppsala, ausgewiesener Experte für Fossilien aus jener Zeit, beschreibt Gess seine Funde nun im Magazin „Science“. Das erste schon vor Jahren entdeckte Fossil nennen sie Tutusius, zu Ehren des südafrikanischen Friedensnobelpreisträgers, Erzbischof Desmond Tutu. Die zweite Gattung trägt den Namen Umzantsia, abgeleitet vom Xhosa-Wort für „Süden“.

Die Funde ermöglichen es einigermaßen zu rekonstruieren, wie beide Arten aussahen (siehe Abbildung). Ihr Lebensraum war wahrscheinlich das Flachwasser einer Flussmündung ins Meer, und ihre kurzen Beine ermöglichten Ausflüge an Land. Dort gab es als Futter ziemlich sicher reichlich frühe Landinsekten. Das war willkommen, wurde aber noch übertroffen vom Vorteil, dass die Ur-Vierbeiner ihrerseits dort noch keine Fressfeinde hatten, ganz anders als im tiefen Wasser. Das war von zahlreichen fossil bekannten großen Raubfischen bewohnt. Atmen konnten sie – halb Fisch, halb Lurch – sowohl mit Lungen als auch durch Kiemen. Die dunklen – aber nicht so kalt wie derzeit ausfallenden – südpolaren Wintermonate verbrachten sie möglicherweise am ufernahen Meeresboden.

Geheime Ausgrabungspläne

Die Funde zeigen, dass vor 360 Millionen Jahren frühe Vierbeiner sowohl in den damaligen Tropen als auch auf dem Südkontinent Gondwana weit verbreitet waren. Sie hatten sich auch bereits in sich deutlich unterscheidende Gruppen wie Tutusius und Umzantsia entwickelt. Und 80 von jenen 100 Tonnen Gestein hat Gess noch gar nicht bearbeitet. Er vermutet, darin weitere Gattungen zu finden.

„Um an Tiere zu kommen, die wirklich am Anfang des Weges ans Land stehen, muss man also in älterem Gestein nachsehen“, sagt Gess. Er kenne auch eine Stelle, die hier vielversprechend wäre. Sie liege ebenfalls in Südafrika. Wo genau, behält er für sich.

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