Wissen und Technik

Die unendliche Leichtigkeit des Gels

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Forscher haben ein ‘Aerogel’ entwickelt, das extrem leicht ist und enorme Hitzeschwankungen aushält. Es könnte als Isolator für Raumschiffe eingesetzt werden.

Fast wie Luft. Das Aerogel ist so leicht, dass es auch den delikaten Staubgefäßen einer Blume nichts anhaben kann.

Leicht, stabil – und unglaublich hohl: Forschern an der Universität in Los Angeles ist es gelungen, ein Aerogel zu entwickeln, das extrem starke Temperaturschwankungen aushält. Es könnte etwa für die Isolation unter Bedingungen, wie sie unter anderem im erdnahem Orbit vorkommen, eingesetzt werden. Das neue Material, dessen Herstellung die Forscher im Fachblatt “Science” beschreiben, besteht zu 99 Prozent aus Luft und ist damit noch leichter als bekannte Aerogele. Gleichzeitig ist es sehr stabil gegenüber Krafteinwirkung und hohen Temperaturen.

Aerogele sind faszinierende Stoffe: Sie sind extrem leicht und halten trotzdem viel aus. Durch manche kann man hindurchsehen, was ihnen zum Spitznamen „gefrorener Rauch“ verhalf. Andere sind leuchtend grün, blau oder pechschwarz. Sie bestehen hauptsächlich aus Luft in sehr vielen, sehr kleinen Poren, die von einem Metall oder von Kohlenstoffverbindungen oder anderen oder anorganischen Materialien gebildet werden. So kann man die superleichten Stoffe beispielsweise aus Graphit, Gold oder verschiedenen Keramiken herstellen. Allerdings hat bei letzteren der Begriff „Keramik“ mit Tassen oder Schüsseln eher wenig zu tun. Er beschreibt eher bestimmte anorganische Verbindungen, die oft sehr beständig gegen Chemikalien und Feuer sind und so für eine Reihe von Anwendungen nutzbar sind.

Ergebnis einer Wette zwischen Chemikern

Das erste dieser Materialien wurde schon 1931 in Amerika hergestellt. Ein gewisser Samuel Kistler arbeitete mit klassischen Gelen, bei denen Flüssigkeit in ein schwammartiges Netzwerk aus einem Festkörper eingelagert ist. Das wohl bekannteste Beispiel ist Gelatine. Der Überlieferung nach wettete Kistler mit seinem Kollegen Charles Learned, wer von ihnen zuerst in der Lage sein würde, die Flüssigkeit durch ein Gas zu ersetzen, ohne dass dabei die Struktur des Gels verloren geht.

Versuche, die Flüssigkeit einfach zu verdampfen, führten jedoch dazu, dass das Material wie ein misslungenes Soufflé in sich zusammenfiel. Die schließlich von Kistler entwickelte Methode verwendete das Chemielaboräquivalent eines Druckkochtopfes und sogenanntes Wasserglas. Diese wissenschaftliche und technische Erstleistung war noch sehr zeitaufwendig. Doch die Entwicklung schritt danach schnell voran. Bald wurden „Sol-Gel“-Prozesse eingesetzt, bei denen in einer Flüssigkeit durch Reaktion feste Produkte entstehen. Diese Teilchen vernetzen sich dann, wobei die Flüssigkeit in den Holräumen verbleibt. Trocknet man das Gel unter hohem Druck, sodass das Material nicht zusammenschrumpft, entsteht ein Aerogel.

Ein Kubikmeter wiegt so viel wie eine Tafel Schokolade

Die Forscher um Xiangfeng Duan von der „University of California“ in Los Angeles nutzten für ihren neuen Stoff ein noch komplexeres Verfahren. Das Gerüst besteht bei ihnen aus Bornitrid, einer Bor-Stickstoffverbindung, die wabenförmige Strukturen bilden kann. Diese schon sehr stabilen, flachen Strukturen banden die Wissenschaftler in ein dreidimensionales, netzartiges Gebilde ein, das sich sehr gut elastisch verformen lässt. Als Stützstruktur dient zunächst Graphen, eine Variante reinen Kohlenstoffs, in der die Atome wabenartig verknüpft sind.

Das Graphen wird nach dem Aufdampfen des Bornitrids bei etwa 600 Grad verbrannt. Zurück bleibt ein Aerogel, das mit einer Dichte von 0,1 Milligramm pro Kubikzentimeter extrem leicht ist: Ein Kubikmeter des Materials wiegt gerade einmal so viel wie eine Tafel Schokolade. Im Gegensatz zu Schokolade schmilzt es aber nicht, wenn man es erhitzt – eine ganze Woche bei 1400 Grad Celsius überstand das Gel problemlos. Auch kurzfristige Temperaturänderungen konnte es verkraften. Anders als andere Keramik-Aerogele, die bei solchen Belastungen schnell brüchig werden, konnten auch Temperaturschwankungen von 275 Grad pro Sekunde dem Bornitridmaterial nichts anhaben. Damit empfiehlt sich das neue Material etwa für den Bau von Sonden zur Erkundung des Weltalls.

Perfekte Isolatoren

Und dabei bleibt es nicht nur selbst intakt, es schirmt auch sehr gut gegen Hitze ab. Das ist eine grundsätzliche Eigenschaft von Aerogelen und der Grund, warum sie häufig als Isolationsmaterialien eingesetzt werden. Da die Luft in dem porösen Gitter nur sehr wenig Bewegungsspielraum hat, kann Wärme über Konvektion – also schlicht die Bewegung erwärmter Moleküle – kaum weitergegeben werden. Auch Wärmeleitung über das Bornitrid geht aufgrund der geringen Dichte des Materials nur langsam vonstatten. Duan und seine Kollegen konnten außerdem Brüche im Bereich von Nanometern im Material feststellen, welche die Wärmeleitung weiter erschweren. Einzig durch Wärmestrahlung kann Hitze weitergegeben werden – das ist jedoch deutlich weniger effektiv als Wärmeleitung.

Um die Isolationswirkung ihres Aerogels zu verdeutlichen, platzierten die Wissenschaftler eine Blume auf einem zwei Zentimeter dicken Stück des Materials, welches sie direkt über eine Alkoholflamme hielten. Nach 15 Minuten war die Blume immer noch schön anzusehen – die Oberfläche, auf der die sie lag, hatte sich auf nur 45 Grad erhitzt.

Auch mechanisch ist das neue Aerogel etwas Besonderes: Wie nur wenige Stoffe überhaupt hat es eine negative Poissonzahl. Das bedeutet, dass es, wenn man es auseinanderzieht, nicht dünner, sondern so lange dicker wird, bis es kaputtgeht. Ursache dieser seltsamen Eigenschaft ist, dass das Material in seinem Normalzustand gleichsam gefaltet ist, und sich, wenn Zugenergie wirkt, entfaltet. Schon länger wird daran geforscht, ob man solche „auxetischen“ Materialien beispielsweise in schusssicheren Westen einsetzen könnte. Sie würden sich, als entgegengesetztes Phänomen der Ausdehnung bei Zug, beim Auftreffen eines Projektils – also einer Stauchung – sofort stark verhärten. Dadurch würde der Impuls extrem effektiv verteilt werden und so dem Projektil seine Energie genommen.

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