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Die 2-Millionen-Dollar-Spritze

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In den USA ist jetzt ein neues Medikament zur Therapie einer seltenen Muskelerkrankung zugelassen worden. Der Preis des Mittels setzt neue Maßstäbe.

Der schweizer Pharmakonzern Novartis gehört zu den ganz Großen der Branche.

Es ist das teuerste Medikament der Welt. Eine Dosis kostet über zwei Millionen Dollar. Jetzt wurde es von der US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassen. “Zolgensma”, ein Gentherapie-Mittel der Firma Novartis, soll zur Behandlung der Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie (Muskelschwund) bei Säuglingen und Kleinkindern zur Anwendung kommen. Das Medikament wird als Einmaldosis gegeben. Aufgrund der hohen Kosten bietet Novartis Krankenversicherungen besondere Arten der Finanzierung an.

Betroffene sind häufig auf maschinelle Beatmung angewiesen

Bei den Spinalen Muskelatrophien kommt es zu einem Untergang von speziellen Nervenzellen im Rückenmark. Es gibt unterschiedliche Ausprägungsformen. Allen ist gemeinsam, dass sie auf ein fehlerhaftes Gen zurückgehen: Das SMN1-Gen (Survival-of-Motorneurons-Gens 1) bildet ein Eiweiß, das für den Erhalt der Motoneuronen nötig ist. Ohne das Eiweiß verkümmern die Nervenzellen.

Die Neuronen steuern normalerweise die Bewegungen von Muskeln. Ihr Absterben hat einen Muskelschwund zur Folge, vor allem an Armen und Beinen, später am gesamten Rumpf. Da im Krankheitsverlauf meist auch die Atemmuskulatur beeinträchtigt wird, sind die Betroffenen häufig auf eine Beatmungstherapie angewiesen.

„Die Schweregrade sind sehr unterschiedlich“, sagt Tim Hagenacker, Leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen. „Bei den schwersten Formen sterben die Kinder in den ersten ein bis zwei Jahren, wenn man sie nicht maschinell beatmet.“ Bei dieser Form der Erkrankung, Typ 1 genannt, können die betroffenen Kinder häufig nicht sitzen oder den Kopf halten. Sie sterben meist schon vor dem zweiten Lebensjahr.

An der Essener Uniklinik werden über einhundert Patienten mit der Erbkrankheit behandelt. Damit ist es eines der größten Zentren in Europa, denn die Spinalen Muskelatrophien sind selten. Hagenacker schätzt, dass es 800-1500 erkrankte Patienten in Deutschland gibt. Die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr beträgt zwischen 70 und 80.

„Eine neue Dimension von Medikamentenpreisen“

Solch seltene Erkrankungen werden von Pharmakonzernen oft stiefmütterlich behandelt. Die Entwicklungskosten sind hoch und die Nachfrage – zumindest zahlenmäßig – gering. Daher verwundert es nicht, dass Novartis nun einen hohen Preis für sein neues Medikament fordert: 2,125 Millionen Dollar, umgerechnet 1,9 Millionen Euro. Damit ist es das teuerste Medikament weltweit, das als Einzeldosis verabreicht wird. 

„Das ist eine neue Dimension von Medikamentenpreisen“, findet Hagenacker. Aber mit Blick auf die Entwicklungskosten fügt er hinzu: „Solche Therapien sind höchst innovativ und natürlich extrem ressourcenintensiv. Gerade wenn man solche Therapien für seltene Erkrankungen entwickelt.“

Dass die Entwicklung von Gentherapeutika komplizierter ist, als die klassischer Medikamente, bestätigt auch Florian Kreppel, Professor für Biochemie und Molekulare Medizin an der Universität Witten/Herdecke, wo er unter anderem zum Thema Gentherapien forscht. „Die Entwicklung ist sehr langwierig und geht meist über 20 bis 25 Jahre. Zudem ist die Produktion immens aufwendig und teuer.“

AveXis, die Tochterfirma, unter der Novartis das Medikament vertreibt, bietet den Krankenversicherungen in den USA ein Ratenmodell an, um die Behandlungskosten zu finanzieren, das sich zudem an dem Behandlungserfolg orientieren soll. Diskutiert wird die Erstattung von Therapiekosten, sollte das Medikament nicht die erwünschte Wirkung zeigen oder der Patient frühzeitig versterben. Eine Zulassung durch die europäische Arzneimittelagentur EMA wird von dem schweizer Pharmakonzern ebenfalls angestrebt.

Bisherige Therapie ist bereits extrem kostenintensiv

Schon vor zwei Jahren gab es einen Durchbruch bei der Therapie der Spinalen Muskelatrophien. Mit Spinraza brachte die Firma Biogen das erste wirksame Medikament überhaupt für diese Art von Erkrankung auf den Markt. Wirksam, aber „auch kein Allheilmittel“, wie Neurologe Hagenacker klarstellt. Den Patienten gehe es besser, sie müssten nicht so früh beatmet werden. „Spinraza wirkt dadurch, dass aus einem defekten Gen ein funktionsfähiges gemacht wird“, erklärt er. Ein ausgeklügelter Mechanismus, den sich Biogen viel kosten lässt. Das Pharmakon muss mehrmals injiziert werden. Jede Spritze kostet 100.000 Euro. Im ersten Jahr belaufen sich die Kosten auf 600.000 Euro, in den Folgejahren jeweils auf 300.000 Euro. Aber nicht alle Patienten sprechen gleichermaßen auf das Mittel an.

Zolgensma, das neue Medikament, setzt ebenfalls an der Erbinformation des betroffenen Muskelproteins an. Bei den Patienten ist die DNA, der Bauplan des Proteins, fehlerhaft. Das Prinzip der Gentherapie beruht darauf, den Zellen einen korrekten Bauplan zur Verfügung zu stellen. Für den Transport dienen Viren. Sie fungieren als sogenannte Vektoren. Mit ihnen werden funktionstüchtige Genkopien in den Zellkern geschleust. Dabei kommt keine Genschere zum Einsatz. Das eigentliche Erbgut des Patienten wird daher nicht verändert. Mit dem neuen Bauplan können wieder funktionsfähige Proteine produziert werden. Der Untergang der Nervenzellen wird gestoppt.

In klinischen Tests mit dem Medikament hätten Patienten Besserungen gezeigt, die im normalen Krankheitsverlauf nicht zu erwarten seien. So hätten 13 von 21 Kindern, die vor dem sechsten Lebensmonat behandelt worden waren, bis zum Alter von 14 Monaten keine permanente Atemtherapie benötigt. Zehn hätten gelernt, zumindest kurzzeitig selbstständig zu sitzen. Eine vollständige Heilung ist mit der Gentherapie jedoch nicht zu erwarten.

Vollständige Heilung derzeit nicht möglich

Zudem gibt Hagenacker zu bedenken, dass es im Verlauf zu einem Wirkverlust kommen könne. „Im Rahmen der Zellalterung könnte dieses Stück Gen, was eingebaut wurde, wieder abgebaut werden.“ Zudem gebe es, wie auch bei Spinraza, Patienten, die nicht auf die Therapie ansprechen. Dass die Wirkungsdauer von Gentherapien auf jeden Fall noch Raum für Optimierung bietet, sagt auch Florian Kreppel.

Die Nervenzellen, die bei den Spinalen Muskelatrophien betroffen sind, haben den Vorteil, dass sie sich nicht mehr teilen. „Daher ist die Wirkung langanhaltend.“ Zumindest im Vergleich zu anderen Erkrankungen, bei denen diese Therapieform zum Einsatz kommt. Zudem arbeite man daran, die Transportviren gezielt in die erkrankten Zellen zu bringen, um Nebenwirkungen zu reduzieren.

Diejenigen, die von dem Wirkstoff profitieren, werden weniger ausgeprägte Lähmungen haben und die Notwendigkeit der maschinellen Beatmung kann womöglich jahrelang hinausgezögert werden. Ist der Preis des Medikaments also am Ende gerechtfertigt? Tim Hagenacker findet es schwierig, dies zu bewerten: „Wie viel die Motorik eines Menschen wert ist, lässt sich schwer in Summen quantifizieren.“

Ähnlich sieht es Florian Kreppel. Er glaubt, dass mit der steigenden Anzahl von Gentherapien auch ihr Preis sinken wird und hofft, dass sie somit nicht zu „elitären Medikamenten“ werden. Die Abwägung zwischen Therapierbarkeit und Bezahlbarkeit bleibt eine gesellschaftliche Herausforderung. Wie wir darüber entscheiden, so Kreppel, „darüber sollten wir uns frühzeitig klar werden.“ (mit dpa)

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