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Chance auf Therapie: Berliner Forscher verbessern Huntington-Diagnose

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Aufgrund von Gentests wissen Huntington-Patienten oft schon früh, dass sie tödlich erkranken werden. Jetzt kann ein Test den Beginn des Leidens vorhersagen.

DNA

Der Bluttest kann befreien, oder grausame Sicherheit bringen. Und die Chancen liegen bei 50:50: Wenn er zeigt, dass ein Mensch das veränderte Gen auf dem kurzen Arm von Chromosom 4 von einem Elternteil geerbt hat, wird diese Person mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Huntington-Krankheit bekommen. Das seltene Nervenleiden geht mit Symptomen wie außer Kontrolle geratenden Bewegungen einher, mit einer sich verändernden Persönlichkeit und mit der Abnahme geistiger Fähigkeiten. Die Krankheit wird auch „Veitstanz“ genannt, oder „Chorea Huntington“ (von griechisch: choreia, Tanz). Heilung gibt es keine. Und bisher war es unmöglich vorherzusagen, wann all das bei einer Person beginnen wird.

Bessere Vorhersage ermöglicht auch bessere Chancen für neue Therapien

Eine Studie aus der Arbeitsgruppe von Erich Wanker am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch eröffnet nun möglicherweise neue Chancen sowohl für die Prognosestellung als auch für die Entwicklung von Therapien. Sie erscheint im Fachmagazin „Molecular Cell“.

Mit einer neuen Technik konnte Wankers Doktorandin, die Molekularbiologin Anne Ast, in Gehirnen verstorbener Menschen mit der Erkrankung – aber auch genetisch veränderter Mäuse, Fruchtfliegen und Würmer – Proteinketten entdecken, die sich zu kurzen Fasern formieren. Diese können als Vorstufen der größeren Ablagerungen gelten, die für die neurologische Erkrankung Chorea Huntington charakteristisch sind. Sie entstehen, weil bestimmte Proteine in den Nervenzellen zusammenkleben. Ihre nun entdeckten Vorläufer sind Eiweiß-Ketten, die nur ein Zehntausendstel Millimeter lang sind.

Ein fluoreszierendes Protein verrät die defekten Eiweiße

Die neu entwickelte Technik ist ein Test. Für ihn wird zunächst im Reagenzglas ein fluoreszierendes, leuchtendes Protein mit der krankhaft veränderten Variante des Huntingtin-Proteins (also dem Produkt des defekten Gens) verbunden. Dieses künstlich erzeugte Kombi-Eiweiß wird danach mit einem Extrakt aus Hirngewebe erkrankter Menschen oder von Versuchstieren in Kontakt gebracht. „Die fluoreszierenden Proteine lagerten sich an die Huntingtin-Proteinketten im Gehirnextrakt an, verlängerten so den Strang der Faser und machten sie durch ihr Leuchten sichtbar“, erläutert Erich Wanker das Verfahren.

Mit dieser Methode können die Forscher ermitteln, wie schnell die winzigen Fasern wachsen und wie groß ihre Fähigkeit ist, neue Kettenreaktionen auszulösen. Zumindest bei genveränderten Versuchstieren, mit denen im Labor die Krankheit nachgeahmt wird, konnten sie zudem einen Zusammenhang zwischen dem Wachstum der kleinen Fasern und dem Voranschreiten der Erkrankung beziehungsweise dem Tod herstellen. Die Theorie, dass die Eiweiß-Plaques nicht Ursache, sondern nur ein Nebenphänomen der Erkrankung sind, hat dadurch an Plausibilität verloren. „Mit aller gebotenen Vorsicht schließen wir, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den kleinen Strukturen, die wir gefunden haben, und dem Fortschreiten der Erkrankung gibt“, sagt Wanker. Man weiß aber noch immer nicht, warum Nervenzellen überhaupt absterben, wenn sich die winzigen Proteinketten bilden.

Der diagnostische Test macht Medikamententests erst möglich

Der neue Ansatz macht es aber möglich, nach kleinen Molekülen zu suchen, die gegen die winzigen Strukturen wirken. Dahinter steckt die Hoffnung, Huntington so im frühen Stadium behandeln zu können, lange bevor sich größere Protein-Ablagerungen bilden. „Durch ein erstes Screening haben wir bereits erste derartige Moleküle identifiziert“, berichtet Wanker. Um das im großen Maßstab zu tun, müsse man allerdings die Pharmaindustrie für die Idee gewinnen. „Erste Gespräche mit potenziellen Investoren haben bereits stattgefunden.“

Nicht nur für die Investoren dürfte auch eine noch unveröffentlichte Studie interessant sein, für die Wankers Arbeitsgruppe nach ähnlichen Eiweiß-Strukturen bei beginnenden Alzheimer-Erkrankungen fahndete. „Das Prinzip, kleine fibrilläre Strukturen aufzuspüren und mit bestimmten Molekülen zu hemmen, hat auch hier funktioniert“, sagt der Forscher.

Derzeit laufen andernorts erste klinische Studien zu einem etwas anderen Therapieprinzip. Die Londoner Neurologin Sarah Tabrizi arbeitet mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden. Das sind synthetische DNS-ähnliche Moleküle. Im Prozess der Übertragung der Geninformation an den Protein-Bauapparat der Zelle binden sie passgenau an das dafür notwendige RNA-Botenmolekül. So ist der Informationsfluss und damit die Bildung des krankhaften Huntingtin-Proteins gehemmt. Doch auch für diese Forschung anderer Arbeitsgruppen könnte die Methode vom Berliner MDC nützlich sein – wenn sie sich zu einem diagnostischen Test weiterentwickeln lässt. Dafür kämen zum Beispiel Hirnwasser (Liquor) oder auch Proben von Muskelgewebe in Frage. „Einen solchen Test könnte man einsetzen, um zu schauen, ob die Therapie wirkt“, erläutert Wanker.

Ohne Therapieoption sollte man mit dem Einsatz der Tests “sehr vorsichtig” sein

Für Träger der Mutation bitter ist, dass eine medizinische Anwendung in näherer Zukunft nicht absehbar ist. Und der eingangs erwähnte Gentest sagt auch nur aus, ob die Person Träger des Gendefekts ist. Wann die Krankheit ausbrechen, wie schnell sie verlaufen wird, kann er nicht vorhersagen. Viele familiär vorbelastete Menschen verzichten aus Furcht vor der Diagnose auf ihn. Wer ihn machen lässt, tut dies oft auch, um die Lebensplanung anpassen zu können. Das Ergebnis trifft schließlich nicht allein die getestete Person, sondern auch ihre Nachkommen.

Die Forschungen von Wankers Gruppe könnten zu Tests mit präziserer Vorhersagekraft führen. Die Betroffenen wüssten dann nicht allein, dass sie Träger der Genveränderung sind, sondern auch in etwa, wann die Krankheit ausbrechen wird. Doch wäre das dann überhaupt besser? „Ich würde beim Einsatz solcher Tests derzeit noch sehr, sehr vorsichtig sein“, sagt Wanker. Wenn es irgendwann aber eine Therapie geben sollte, die früh begonnen die besten Ergebnisse bringt, gäbe es keinen Grund mehr, sich nicht testen zu lassen.

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